Wer in Wien ein Gebäude abbrechen will, muss einiges beachten. Der Gesetzgeber hat in der Wiener Bauordnung einige Regelungen vorgesehen, die dazu beitragen sollen, das Stadtbild Wiens mit seinen vielen gründerzeitlichen Gebäuden zu erhalten. Schließlich ist die Stadt dafür weltweit bekannt und in diesem Belang einzigartig.
Bewilligungsfreie und bewilligungspflichtige Abbruchvorhaben
Keiner Bewilligung bedarf der Abbruch von Bauwerken, die weder in einer Schutzzone noch in einem Gebiet mit Bausperre liegen sowie der Abbruch von Gebäuden, die nach dem 1. Jänner 1945 errichtet worden sind (§ 60 Abs 1 lit d Wr. BauO). Solche Abbrüche müssen gemäß § 62a Abs 5 Wr. BauO der Baubehörde, der MA 37, lediglich angezeigt werden. Soll hingegen ein vor dem 1. Jänner 1945 errichtetes Gebäude abgebrochen werden, so ist der Abbruch nur bewilligungsfrei, wenn der Abbruchsanzeige eine Bestätigung des Magistrats, der MA 19, angeschlossen ist, dass an der Erhaltung des Gebäudes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht. Ist eine solche Bestätigung nicht beigelegt, ist eine Bewilligung von der Behörde zu erwirken. Die Behörde darf diese nur erteilen, wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht oder sein Bauzustand derart schlecht ist, dass die Instandsetzung technisch unmöglich ist oder nur durch wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen bewirkt werden kann.
Bei den drei Tatbeständen — wirtschaftliche Abbruchreife, technische Abbruchreife und Erhaltungswürdigkeit aufgrund öffentlichen Interesses infolge der Wirkung des Gebäudes auf das örtliche Stadtbild — handelt es sich um Alternativtatbestände, weshalb es möglich ist, den Antrag auf Erteilung einer Abbruchbewilligung auch nur auf einen der drei zu stützen. Die Beantwortung der Frage, wann an der Erhaltung eines Gebäudes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild ein öffentliches Interesse besteht, beschäftigte in der jüngeren Vergangenheit einige Sachverständige, sowohl Privat- als auch Amtssachverständige der MA 19.
Verfahrensablauf in der Praxis
Wird bei der MA 37 um Bewilligung für den Abbruch eines Gebäudes angesucht, ohne dass eine entsprechende Bestätigung beigebracht wird, so beauftragt diese wiederum die MA 19 mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Häufig lässt die MA 19 bereits das geringfügige Vorhandensein gründerzeitlicher Elemente nach der Vereinfachung der Fassade ausreichen, um Gebäuden die Erhaltungswürdigkeit aus Stadtbildgründen zu attestieren. Fraglich und oft Streitfrage ist dabei, worauf abzustellen ist. Reicht für die Erhaltungswürdigkeit die bloße Errichtung des Gebäudes vor dem 1. Jänner 1945 aus oder muss das Gebäude nach wie vor mit gründerzeitlichem Schmuck in Erscheinung treten?
Der Gesetzgeber verfolgt das ehrwürdige und richtige sowie wichtige Ziel, zu verhindern, dass der klassische Wiener Altbau aus dem Stadtbild verschwindet. Dies ist auch deutlich aus den Protokollen jener Landtagssitzung vom Juni 2018 zu entnehmen, in der die Norm beschlossen wurde. Ein Redner sprach davon, dass die zu beschließende Norm „wunderbare Gebäude“ schützen solle und bezog sich dabei auf ein gründerzeitliches Gebäude mit einem markanten Eckturm, welches sich in einem der inneren Bezirke Wiens befindet. Dieses Gebäude trat im Juni 2018 klar gründerzeitlich in Erscheinung. Es scheint daher die Intention des Gesetzgebers gewesen zu sein, ebensolche „wunderbaren“ Gebäude zu schützen.
Gegenstand vieler Verfahren vor der MA 37 und später vor dem Verwaltungsgericht Wien als Rechtsmittelinstanz waren vor dem 1. Jänner 1945 errichtete Gebäude, deren äußeres Erscheinungsbild sich nach 1945 massiv verändert hat. Bei vielen Gebäuden wurde gründerzeitlicher Dekor entfernt, Fassaden glatt verputzt und klassische Holzkastenfenster durch einfache Plastikfenster ersetzt. Was der Schutzzweck der Norm des § 60 Abs 1 lit d Wr. BauO ist und ob diese Gebäude darunterfallen, ist noch nicht abschließend geklärt.
Verfassungsrechtliche Aspekte
Die Behördenpraxis der jüngeren Vergangenheit hat es deutlich schwieriger gemacht, vor 1945 errichtete Gebäude abzubrechen. Damit in Zusammenhang stehende Fragen können jedenfalls in die Verfassungssphäre hineinreichen. Es wurden bereits Erkenntnisbeschwerden an den Verfassungsgerichtshof herangetragen. In den Beschwerden wurde die Frage gestellt, was denn der Schutzzweck der Norm sei — sollen Gebäude aufgrund ihres historischen Erscheinungsbildes geschützt werden oder reicht es aus, wenn ein Gebäude bloß vor einem bestimmten Datum errichtet worden ist? Nach der Argumentation der Beschwerdeführer unterstellt die Behörde dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt, wenn sie es auf Gebäude anwendet, die nach 1945 der-art verändert wurden, dass sie kaum noch historische Merkmale aufweisen. Es könnte eine Verletzung des aus dem Gleichheitssatz resultierenden Gleichbehandlungsgebotes stattfinden, wenn Gebäude, die in ihrem äußeren Erscheinungsbild stark vereinfacht wurden, gleichbehandelt werden wie Gebäude, welche ein klar gründerzeitliches Erscheinungsbild aufweisen. Nach der Argumentation der Beschwerdeführer würden unterschiedliche Lebenssachverhalte der gleichen Behandlung unterworfen werden. Der Verfassungsgerichtshof lehnte in einem Fall bereits die Behandlung der Beschwerde ab. Begründend führte er aus, dass die Rechtsverletzungen, wenn überhaupt, nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung eines einfachen Gesetzes wären. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien in diesem Zusammenhang nicht anzustellen.
Aussichten für die Zukunft
Es bleibt Abbruchwerbern in Wien in vielen Fällen nur noch der Gang zum Verwaltungsgerichtshof. Bei diesem sind derzeit mehrere Verfahren mit ähnlich gelagerten Sachverhalten anhängig. Die Erkenntnisse werden richtungsweisend für die Stadtentwicklung sein. Wir werden berichten, sobald die erste Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ergangen ist.
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